Von der «Ersten» in die «Dritte» Welt

Der Hafen von Marin entpuppte sich als eine riesige Marina. Yacht an Yacht, viele Katamarane, die mit all dem Wohnzimmer-Klimbim an Bord als schwimmende Wohnwagen viel zu schwer sind, um unter Segeln den Vorteil dieser in Polynesien entwickelten Bauweise nutzen zu können. Neben uns lag eine grosse Motoryacht, zwar nicht ganz die Klasse der russischen Oligarchen, aber derart herausgeputzt – selbst die bereits chromglänzenden Poller für die Festmacher wurden von der uniformierten Mannschaft noch poliert –, dass ich geradezu stolz darauf wurde, verschwitzt nach Salzwasser-gewaschenen Klamotten zu riechen, die von Arbeit verdunkelten Hände nicht mehr richtig blank zu kriegen, kurz: Gemäss Zivilisations-Standard dreckig zu sein. Die offenbar wichtige Dame an Bord der «Dolce», für welche im Schatten auf einem der Achterdecks der Tisch gedeckt und die Kissen in den Sesseln aufgeschüttelt wurden, beschäftigte sich mit ihrem Computer. Die servierende Frau nahm ihre Anweisungen in dienstbeflissener Haltung entgegen. War die offenbar wohlhabende Lady ausser Sicht, wurde wieder geputzt was längst sauber ist.
Natürlich putzen auch wir. Abgesehen von der Küchenreinigung nach jeder Mahlzeit ist jeweils der Samstag ein Putztag. Vor allem die Vorratskammer unter der Galley und die Bänke mit weiteren Lebensmitteln kommen regelmässig mit Putzessig und Lappen in Kontakt. Ein Schiff ohne Kühlschrank muss mit Lebensmitteln besonders vorsichtig umgehen, sonst hat man bald Ungeziefer an Bord. In Martinique, ausgerechnet in der so clean erscheinenden Marina, musste ich eine fünf Zentimeter lange Kakerlake in die ewigen Jagdgründe befördern. Und selbst mehrere hundert Meter vom Ufer entfernt vor Anker finden Fruchtfliegen den Weg ins Netz, in dem in der Küche die Früchte hängen.
Der Gang zur Yachthafen-Toilette nach dem Aufwachen zeigte: Die Kundschaft, welche die Infrastruktur der Marina nutzt, ist weiss, wer am frühen Morgen putzt, ist schwarz. Klassen- und Rassengesellschaft auch in diesem tropischen Flecken Frankreichs. Und – das Unbehagen sitzt tief – ich bin als Mitbenutzer Teil davon, selbst als Mannschaftsmitglied eines Schiffs, das für sich in Anspruch nimmt, eine Transportrevolution zu propagieren und an Bord bewusst auf Bequemlichkeit verzichtet. Ich war froh, schnell wieder in See zu stechen.

Mit Widersprüchen leben

Wir luden in Marin die leeren Fässer aus, die auf Martinique mit Rum gefüllt werden. Auch das Likör-Fass für die lokalen Partner der Frères de la Côte – das ist eine befreundete Organisation in Frankreich, die ebenfalls einen Segelfrachter umbaut – fand den Weg an Land, selbst wenn dies mit viel Arbeit und Hauruck verbunden war: Beim Laden auf La Palma war niemandem bewusst, dass dieses Fass für Martinique bestimmt war. Entsprechend befand es sich in der untersten Schicht, da es bereits in Dieppe an Bord gekommen war. Deshalb mussten wir es unter den anderen vollen Fässern regelrecht ausgraben.

Um das für Martinique bestimmte Fass auszugraben, mussten viele andere Fässer umplatziert werden.

Am folgenden Tag dann Tag der offenen Tür auf der Tres Hombres. Die Partner der Frères de la Côte betrieben auf dem Steg einen Stand. Grosser Zulauf, auch viel Volk von den Yachten. Sogar die Mannschaft der «Dolce» kam an Bord, beobachtete die Arbeit im Laderaum, und kaufte Rum und Schokolade. Von da an machten sie uns immer, wenn auf der «Dolce» Entsorgung angesagt war, auf noch Brauchbares aufmerksam. Ein praktisch unbenutzte Bratpfanne und nagelneue Hemden einer angesagten Nobelmarke fanden den Weg zu uns an Bord.

«Three men, two masts, one spirit» verkündet das alte Werbebanner der «Tres Hombres». Für den Tag der offenen Tür ergänzte unsere Kapitänin: «… and many women», denn aktuell segeln wir mit einer Frauenmehrheit an Bord.

Da bekommen Feindbilder Risse. So wurde in diesen Tagen bekannt, dass die französische Container-Reederei CMA CGM den Bau des Segelfrachters Neoliner mitfinanziert. CMA CGM ist hinter der Schweizer MSC und der dänischen Maersk der drittgrösste Player auf dem Containermarkt. Die drei investieren unter anderem auch in die bezüglich Klima schädlichste Transportform per Flugzeug. Alle drei werden nicht müde zu betonen, wie sehr sie sich anstrengen, die Seefracht klimaneutral zu machen. Zwar ist ein Schiff, das mit 136 Meter Länge und 3000 Quadratmetern Segel 320 Autos oder 265 Container befördern kann, angesichts der anderen Schiffe der Reederei, die Container in der Zehntausender-Kategorie befördern, kaum mehr als ein Feigenblatt. Doch beteiligen sich neben CMA CGM und einer französischen Staatsagentur auch Banken an der Finanzierung. Offenbar setzen Banker in das moderne Rigg mit freistehenden Karbonmasten mehr Vertrauen als in ein Projekt wie den in Holland geplanten motorlosen Ecoclipper mit seiner traditionellen Takelage, bei dem es mit der Finanzierung klemmt. Trotzdem ist dies ein wichtiger Schritt, dem Windantrieb Schub zu verleihen und die Idee aus der Alternativ-Nische herauszuholen, in der die bisherigen Segelfrachter arbeiten. Mit 5300 Tonnen Ladekapazität übertrifft die Neoliner die «Tres Hombres» um mehr als das Hundertfache. Irgendjemand muss die Prototypen bauen. Ob sich dann die für leichte Yachten entwickelte Technik auch nach ein paar Jahren Salzwasser, Wellen und Stürmen auf einem schweren Frachter-Rumpf bewährt, wird sich zeigen. Eigentlich sollte der Neoliner 2021 den Betrieb aufnehmen. Nun ist von einem Lieferdatum 2025 die Rede: Lieber spät als nie.
Gestaunt habe ich im ersten Moment auch über einen Artikel der Firma Schroders. Mit einer Belegschaft von mehr als 500 Mitarbeitern in Zürich und Genf verwaltet diese in der Schweiz nach eigenen Angaben ein Vermögen von 99.7 Milliarden Franken. Nun schreibt sie: «Die Richtung, die Unternehmen einschlagen sollten, ist deutlicher denn je: Wir brauchen nicht nur eine Netto-Null-Weltwirtschaft, sondern müssen auch naturpositiv sein – und das eine ist vom anderen abhängig.» Das «Netto-Null» bezieht sich auf Klimagase. Und naturpositiv wäre aus der Sicht eines Frachtseglers unter anderem, erstens die Ozeane nicht nur nicht weiter aufzuheizen, sondern auch darauf zu verzichten, für die Gewinnung von Rohstoffen – unter anderem für die Produktion von Ökostrom und auf Wasserstoff basierende Treibstoffe – buchstäblich die Tiefsee anzubaggern. Und zweitens die Schutzgebiete in den Meeren massiv auszuweiten in der Hoffnung, dass sich die durch menschliche Einflüsse geschädigten maritimen Ökosysteme erholen.
Das hat viel mit der Vermeidung von Treibhausgasen zu tun. «Ziel ist es, die Menschen dazu zu bringen, auf Fahrzeuge zur Alleinbenutzung zu verzichten und stattdessen auf effizientere Beförderungsmethoden umzusteigen, wie beispielsweise den öffentlichen Verkehr, Fahrgemeinschaften, Mitfahrgelegenheit, sowie auf nicht motorisierte Fahrzeuge wie Fahrräder», schreibt Schroders. Einverstanden. Doch geworben wird dann primär für Investitionen in Elektromobilität und die Entwicklung neuer Treibstoffe. Dass die Klimaerhitzung eine Folge des Systems – eine Business-Nebenwirkung – und nicht nur der Technik ist, dieser Hinweis fehlt. Im Disclaimer heisst es entsprechend: «Bei dieser Mitteilung handelt es sich um Marketingmaterial»…

Kurze Fahrt nach Barbados

Da es einige Tage dauert, bis in Martinique die Fässer gefüllt sind, entschloss sich Anne-Flore, die Zeit zu nutzen und die Fracht in Barbados zu holen. Doch aus der Ankündigung, dass wir direkt in den Hafen einlaufen können, wurde nichts: Die Hafenbehörden hielten die «Tres Hombres» für ein Motorschiff und ein Schleppboot stand nicht zur Verfügung, als der Irrtum klar wurde. Da hat der Agent vor Ort wohl geschlampt… Nun liegen wir hier ein paar Tage vor Anker und der Rum in Martinique muss warten. Jeweils eine der beiden Wachen arbeitet an Bord, die andere hat Landgang.
Der Unterschied zwischen den beiden nur hundert Seemeilen auseinander liegenden Inseln ist augenfällig: Martinique ist ein karibisches Stück EU, hier in Barbados herrscht mit einer überwiegend schwarzen Bevölkerung eher eine Stimmung des globalen Südens: Zwar spielt die Kathedrale von Bridgetown very british zur vollen und halben Stunde die Melodie des Big Ben. Doch die Busse sind laut und sossen dunklen Abgase aus, die Strassen überstellt mit allerlei Ständen. Ein grosser Teil der Bevölkerung versucht offensichtlich, abseits vom massiven Kreuzfahrttourismus, durch Handel mit Kleinkram zu überleben. Viel Plastikramsch aus Fernost. Ausserhalb der Öffnungszeiten suchen dann einige nach Essbarem in den Abfällen eines Fastfood-Ladens.
Ausserhalb von Bridgetown stiess ich auf einen Mann, der mit Abfallholz einem alten «Optimist» – das ist ein zwei Meter kurzes Seifenkisten-Boot für Kinder – eine Art Ausleger zimmert. Ein krasser Kontrast zu den weissen Yachten in Marin. «Badass-people have badass-boats» («Knallharte Typen haben knallharte Schiffe»), steht am Bug. Was will er mit diesem garantiert nicht seetüchtigen Konstrukt? Fischen. Doch doch, er fange etwas. Dann arbeitet er weiter. «Knallhart»? Trotz der für viele prekären wirtschaftlichen Lage strahlen die Menschen hier eher eine freundliche und hilfsbereite Gelassenheit aus.

Auf Barbados organisieren jeweils Sympathisanten ein «Rennen» der Tres Hombres gegen den Schoner «Ruth». Dieser sei allerdings wenig geeignet für den Frachttransport, denn der Schiffstyp wurde auf Geschwindigkeit hin konstruiert, um die vor Neufundland gefangenen Fische möglichst schnell in den Hafen zu bringen. Der Laderaum im schmalen Rumpf ist deshalb nur klein.