24. Juni. Prachtwetter, endlich Sommer – auch die nächsten Tage. Doch morgen wird die Tres Hombres ohne mich die paar wenigen Kilometer nach Gudhjem segeln, um dort die letzten Kartons Weinflaschen abzuliefern, denn um acht Uhr trete ich die Heimreise an.
Der Törn von Kopenhagen nach Tejn hier im Norden der Insel Bornholm war kurz, zu kurz. Wir legten nachts einen langen Schlag nach Süden ein bis kurz vor das Kap Arkona an der deutschen Küste, um nicht zu früh anzukommen. Später färbte der Sonnenaufgang die marinegraue Steuerbordseite eines Flugzeugträgers orange, dahinter ein weiteres Kriegsschiff. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine macht die Ostsee zum Strategiegebiet, auf dem die Nato demonstrativ Präsenz zeigt. Und bei jedem Tanker fragt man sich, ob der nun zur «dunklen Flotte» zählt, mit der Russland Öl in Umgehung von Sanktionen und Preis-Obergrenzen exportiert. Ansonsten präsentiert sich die Ostsee wie die Nordsee: allenthalben Windkraftanlagen.
Zu schnell gesegelt
Die Tres Hombres hat überall Freunde. In Kopenhagen hat uns der Frachtkunde mit Wein und zwei Fahrrädern versorgt, in einer Bäckerei haben wir gekocht und geschmaust, auch hier auf Bornholm werden wir eingeladen. Die Party in La Rochelle mit dem Winzer am Akkordeon bleibt in bester Erinnerung. Und auf Bornholm hatten wir einen schönen Mittsommerabend auf einem stillgelegten Hof irgendwo zwischen Wäldern und Getreidefeldern. Doch mehr als die Hälfte der Zeit verbrachten wir in Häfen. Wir hatten einfach zu viel Windglück und waren jeweils früher am Ziel als der Segelplan vorsah: La Rochelle – Kopenhagen (1260 Seemeilen) in elf Tagen ist beispielsweise schnell, wenn man berücksichtigt, dass wir auf Am-Wind-Kurs aus der Biskaya hinauskreuzen mussten und kurz vor Kopenhagen praktisch Flaute hatten. Während einer früheren Sommerreise dauerte diese Fahrt wegen ungünstigen Winden länger als wir auf meiner zweiten Winterreise von den Kanarischen Inseln über den Atlantik nach Martinique brauchten.
Ein Bild der Kontraste: Die Tres Hombres in Kopenhagen.
Es gibt zwar Trainees, die kommen mit Reiseführern im Gepäck und wissen genau, was sie zum Beispiel in Kopenhagen besichtigen wollen. Doch während auf See alles durchstrukturiert ist, kommt man im Hafen bald einmal ins Zeit-Vertrödeln und am Abend wird am Weinglas genuckelt. Wegen meines schadhafte Gehörs komme ich mit den klaren Abläufen auf See besser klar als in den Häfen, wo ich die Gespräche in der Gruppe oder unter Frachtkunden – zumal auf Englisch – höchstens bruchstückhaft mitkriege.
Hinzu kommt, dass Frachtkunden das Schiff für Degustationen nutzen. Das ist einerseits legitim: Wer deutlich mehr für den Transport bezahlt, darf dies auch fürs Marketing nutzen. Andererseits ist das Schiff während der Reise unser Zuhause. Plötzlich hat man lauter Fremde an Deck, in der Galley (Küche), im Navigationsraum, nicht wenige in Business-Kluft. Ein gewiefter Smalltalker war ich noch nie. Und wer Wein oder Rum mit einer besonderen Transport-Geschichte liebt, will ja nicht unbedingt einen Vortrag darüber hören, dass wir an Land mit ersticken, wenn wir den Ozean durch die westliche Lebens- und Produktionsweise zum Kippen bringen… Da fühlte ich mich irgendwie fehl am Platz. Kurz: Die Sommerreisen der Tres Hombres sind kommerzieller als die Winterreisen, bei denen es vor allem darum geht, Fracht einzusammeln – davon ein beträchtlicher Anteil für den Eigenhandel der Reederei.
Am Ausladen des Weins beteiligen sich viele HelferInnen, die einfach nur aus Sympathie mitarbeiten.
Das Spektrum der Kunden ist breit: In Kopenhagen haben wir einer Weinbar beim Einlagern in den Keller geholfen, deren Wände gespickt sind mit Parolen, Che Guevara und Aufrufen zum 1. Mai. Und beim Ausladen zeigt sich an der grossen Schar der Helfer, dass der Frachttransport der Tres Hombres zwar wirtschaftlich ein Nischenprodukt bleibt, aber Menschen berührt, eine Bewegung schafft. Beim anschliessenden Essen nach dem Etiketten-Kleben habe ich inklusive unserer Crew gegen 60 Personen gezählt.
Ob dies so bleibt, wenn moderne grosse Segelfrachter – wie sie in Frankreich die Organisation TOWT und Grain de Sail bauen – mit kleinen Mannschaften gesegelt werden, ist fraglich. Das geht dann in Richtung Green Shipping, grüne Logistik, und weniger um die beteiligten Menschen.
Endlich ablegen: Noch im Hafen von Kopenhagen setzen wir Segel für den Weg nach Bornholm.
Bewegender Abschied
25.Juni: Nun sitze ich im Zug nach Hamburg. Nachdem sich gestern Abend viele in den mittlerweile fast leeren Frachtraum verzogen hatten um eine Film zu schauen, spielte ich alleine Gitarre an Deck. Eine Abschiedsparty zu organisieren hatte ich verpasst. Und so dachte ich, dass ich mich am Morgen wohl einsam von Bord schleichen würde, weil alle anderen noch schlafen.
Doch weit gefehlt: Auf Anraten von Einheimischen hatte ich mich doch für den Neunuhr-Bus entschieden. Aber schon kurz nach acht waren alle an Deck. Giulia und Jules, die bei Freunden übernachtet hatten, liessen sich von diesen rechtzeitig zum Schiff chauffieren. Als es dann Zeit wurde aufzubrechen, formierte sich eine neunköpfige Begleittruppe, die nicht nur mein Gepäck, sondern auch das Schiffshorn zur Bushaltestelle brachte. Ich durfte auf dem Velo mit, um mein Arthrose-Hüftgelenk zu schonen. Herzliche Umarmungen – und als der Bus anfuhr, erklang das Schiffshorn. Mir kamen die Tränen.
Werde ich wiederkommen? Die Baustellen meines alternden Körpers sprechen dagegen. Aber ich wünsche es sehr.