Endlich!

Den Helder, 17. November 2022, Vormittag: Vorgestern bin ich auf die «Tres Hombres» umgezogen. Vielleicht etwas früh, in der ersten Nacht war der «Duft» der frischen Farbe noch recht penetrant. Doch so konnte ich endlich meine Siebensachen an einem Ort konzentrieren. Den Seesack hatte ich auf dem Takelboden über der Metallwerkstatt am Pier, geschlafen habe ich auf der «Stella Maris», gegessen haben wir auf der «Earl of Pembroke», die kurz vor dem Abwracken steht. Nun sind wir also alle, die mitsegeln werden, auf unserem Schiff konzentriert. Gestern wurde der Laderaum fertig, die Bibliothek ist schon eingeräumt, der Tisch für die Seekarten ist montiert, die Kapitänin hat die Bordapotheke sortiert, eigentlich könnte es losgehen.
Immer wieder beugen sich Köpfe über ein Handy, auf dem jemand auf windy.com die Windprognosen checkt. Derzeit ist die Nordsee violett eingezeichnet. Ein Wirbel nordöstlich von London beschert uns einen Südostwind mit 40 Knoten Geschwindigkeit – Sturm. Damit kömten wir im Schwick nach England rauschen. Aber vor der belgischen Küste und im Ärmelkanal zeigt die Karte West-Südwestwind, ebenfalls violett.
Die Tres Hombres ist ein starkes Schiff. Auf dem offenen Atlantik einen Sturm abzuwettern liegt drin. Aber in einem engen Revier wie dem Ärmelkanal mit seinem extremen Verkehr gegen starken Wind und entsprechende Wellen anzusegeln, wäre für das Schiff und vor allem die Mannschaft mehr Belastung als die Kapitänin Anne-Flor uns zumuten will. Am Samstag wäre dann fast Flaute im Ärmelkanal – auch nicht lustig zwischen all den dicken Pötten, deren Fahrwasser wir queren müssen.
Möglich wäre es, den Weg aussen herum über Schottland zu nehmen. Im Norden wären wir schnell. Doch westlich von Irland wieder nach Süden zu kommen, dürfte gemäss Windprognosen eher anspruchsvoll werden – zum Glück muss nicht ich die Entscheidung treffen!
Lange auf günstigeren Wind warten sollten wir aber nicht mehr. Gemäss Plan sollten wir am 29. November (also in 12 Tagen) in Douarnenez in der Bretagne mit Kurs auf Baiona an der Atlantikküste in Nordwestspanien absegeln. Der Schlag hinüber nach Cork an der irischen Südküste ist gestrichen. Dieser Frachtauftrag lässt sich auch im kommenden Jahr noch erledigen.

Den Helder, Freitag Nachmittag 18.11.2022. Gestern gegen Abend kam der Entscheid: Morgen Samstag um 8.30 legen wir ab. Ob es dieses Jahr wieder klappt, die Abfahrt als auf der Facebookseite von Fairtransport direkt zu übertragen, daran wird noch gearbeitet.
Auf dem Schiff ist Hochbetrieb. Überall müssen Hölzer, Festmacher, Kisten an Deck, die Palette mit der Schlepptrosse auf dem Vordeck und, und, und… gelascht werden. Auf See soll nichts lose kommen, wenn das Schiff krängt, rollt, giert und stampft. Die ersten beiden Tage sind die Prognosen recht vielversprechend: Etwas über 20 Knoten, eine gute Windstärke 6 aus Osten. Das liebt unsere alte Dame, dann packt sie ihr wahres Temperament aus. Mit wem man unter den Traditionsseglern hier im Museumshafen auch spricht: Alle attestieren der «Tres Hombres», dass sie hervorragend läuft. Später dreht der Wind auf Süden und dann wieder auf Südwest. Wir müssen versuchen, das Nadelöhr zwischen Calais und Dover möglichst vorher zu passieren. Nach Westen wird der Ärmelkanal zwar breiter, da könnte es aber doch noch anstrengend werden, gegen die Wellen anzubolzen.
Fast alle Freiwilligen, die beim Überholen geholfen haben, sind abgereist oder kurz davor, zu gehen. Bei der Fremdenpolizei waren wir schon, denn wir müssen uns abmelden: Sind wir erst einmal aus den niederländischen Hoheitsgewässer raus, befinden wir uns auf Territorium von Vanuatu. Die Flagge weht schon am Hauptmast. Der pazifische Inselstaat ist einer der wenigen, die Seetransport ohne Motor erlauben.
Unseren Platz am Ausrüstungsquai wird die «Tukker» übernehmen, das erste Schiff der Segeltransport-Genossenschaft «Ecolipper», das am vergangenen Samstag zwar schon unter Segeln aus der Werft weiter im Süden hierher gekommen ist, aber noch Innenausbau braucht. Ecoclipper ist ein Nachfolge- oder Fortsetzungsprojekt von Fairtransport. Der Gründer Jorne Langelaan ist einer er drei Kapitäne, welche die «Tres Hombres» gegründet haben. Ab kommendem Jahr wird die «Tukker» Fracht an den europäischen Küsten transportieren. Kurz: Die Bewegung wächst, wenn auch viel zu langsam. Die Nachfrage nach gesegeltem Frachtraum ist grösser als das Angebot. Noch gibt es mehr Pläne und Projekte als das eben nötige Geld, diese auch umzusetzen.

Am vergangenen Samstag war im Museumshafen eine Ausstellung traditioneller Schiffe. Bei fast Windstille konnten sich die Schiffe am Pier unter Segel präsentieren. Auch die Tres Hombres im Vordergrund setzte Segel, allerdings vor allem um zu testen, was im Rigg noch alles fehlt.
Die «Gar», der historische Schlepper, der uns durch die Kanäle und die Schleuse in den Aussenhafen bringen wird, ist schon eingetroffen.