Es hat mich wieder ergriffen, das Schiffsfieber. Langsam war die Sehnsucht weggeschlummert, die ich verspürte, seit ich im Mai vor zwei Jahren von Bord ging. Jenes Ziehen in der Brust, als ich vor einem Jahr über Facebook die Direktübertragung verfolgte, wie die ›Tres Hombres‹ in Den Helder den Weg in die Karibik unter den Kiel nahm. Nun packt es mich wieder. Doch diesmal fühlt es sich besser an, denn ich werde – wie vor drei Jahren – mit an Bord sein.
Diesmal wird es anders. Zwei Jahre Recherche für das Buch »Klar zur Wende! Mit Segelfrachtern gegen die Klimakrise«, das zum Teil auf der damaligen Fahrt entstand, haben mir die Augen einen Spalt weit geöffnet für die Verhältnisse auf See. Das hat die Neugier geweckt für das, was sich unter der Oberfläche abspielt, auf der wir segeln und auf der neun Zehntel des Welthandels abgewickelt werden. Weit über zwei Millionen Arten Lebewesen soll es in den Ozeanen geben – eine Schätzung: Spezialisten kennen nur gerade mal ein knappes Zehntel davon. Und unsere allerbequemste Zivilisation führt sich in dieser Vielfalt auf wie der Bulldozer im Porzellanladen (einem Elefanten mag ich solche Rücksichtslosigkeit nicht andichten): Unsere Klimagase heizen die Meere auf, machen sie sauerstoffarm und sauer. Die Folgen? Was ich nicht weiss, macht mir trotzdem heiss: Unser Wetter wird zum grossen Teil da draussen gemacht, hinter dem Horizont, den wir vom Strand aus sehen. Die Kette von Extremwetter-Sommern, die wir in den letzten Jahren erlebten, zeigt uns schon längst den Mahnfinger.
Als ich vor drei Jahren das erste mal über das Schanzkleid an Deck der ›Tres Hombres‹ kletterte, fiel mir Mani Matters Lied vom Noah ein, dem ›Spinner‹, der auf dem Trockenen ein Schiff baut und am Schluss auf tragische Weise doch recht hat. Meine Beschäftigung mit Klimafragen seither weckten die Erinnerung an ein anderes Chanson Matters: »Dr Alpeflug« (Der Alpenflug). Da sitzen zwei im Sportflugzeug und fliegen über Gipfel und Gletscher. Der Hintere warnt immer eindringlicher, der vorne sitzende Pilot solle landen, denn das Benzin gehe zur Neige, man werde abstürzen. Der Pilot hingegen schreit zurück, er verstehe im Motorenlärm nichts. Der Dialog spitzt sich verzweifelt zu, bis es still wird. Der Sprit ist alle, der Motor setzt aus… So sitzt heute hinten der Weltklimarat. Und vorne die Wirtschaftspiloten, die im Marktgetöse, im Krisenknirschen, dem Börsengrollen und dem dröhnenden Metronom der Jahres-, Halbjahres- und Vierteljahresberichte nichts verstehen.
Doch halt, einige verstehen. So schreibt ein Vertreter der Reederei-Familie Oldendorff: »Der Klimawandel ist die grösste Herausforderung für unsere Generation. Der Schifffahrtssektor ist einer der grössten Verursacher dieses Wandels und hat in den letzten Jahrzehnten nur sehr wenig Innovation gezeigt.« Doch die Innovation klemmt. Niemand weiss, welcher Treibstoff aus grünem Wasserstoff irgendwann das Rennen macht. So stellt zwei Jahre später ein anderer Chef aus der gleichen Gruppe fest: »Jetzt werden wir gebeten, den Gewinner der Lotterie der Zukunftstechnologien zu wählen.« Und das sei eben schwierig. Von interessierter Seite werde den Politikern zwar gesagt, die Technologien stünden bereit und seien verfügbar. »Man muss feststellen, dass diese Ideen, so interessant sie auch sein mögen, nicht ausreichend kapitalisiert sind und für den Einsatz nicht fit sein werden.«
Ein Blick auf die Website der gleichen Reederei zeigt, dass selbst wenn wir den Durchbruch eines kohlenstofffreien Treibstoffs bald feiern könnten und die erwähnte »Lotterie der Zukunftstechnologien« bald entschieden wäre: Allein damit ist das Rennen gegen die Klimaerhitzung aussichtslos. Transportierte Oldendorff 2005 noch 50 Millionen Tonnen Massengüter wie Erze und Kohle, so waren es 2020 bereits 380 Millionen Tonnen. Mit solchem Wachstum kann der Ausbau der Produktion von Ökostrom, mit dem man den grünen Wasserstoff macht, nicht mithalten. Im Gegenteil: Derzeit diskutieren wir über eine Energiekrise, in der sich abzeichnet, dass selbst für den bisherigen Bedarf der Strom irgendwelcher Herkunft – geschweige denn grüner Strom – bald Mangelware ist.
Hinten die wissenschaftlichen Warner, vorne die schwerhörigen Piloten – das Bild stimmt nicht ganz, denn es sitzen noch mehr im Flieger. Beispielsweise wir Frachtsegel-›Spinner‹ (im Sinne von Mani Matters Noah, siehe oben), die – statt auf Technik, die nicht rechtzeitig fit für den Einsatz sein wird – auf Altbewährtes setzen: Die direkte Nutzung des Windes. Und zwar dann, wie der Weltklimarat es fordert: Jetzt! Sofort! Nicht erst nach langer Entwicklungszeit bis zur Marktreife. Zwar sind die unter Segeln transportierten Mengen vorläufig winzig. Für grössere Segelfrachter mögen die Banken kein Geld locker machen. Da trifft die Kritik des Oldendorff-Mannes auch auf uns zu: »nicht ausreichend kapitalisiert«. So hilft vorläufig nur, dass idealistische Kleininvestoren zusammenlegen.
Doch im Gegensatz zu den konventionellen Reedern, die alles transportieren, was der Markt verlangt, ist für uns klar: So viel, wie derzeit verschifft wird – oft unsinnig und weil es einfach zu billig ist – können und wollen wir nicht befördern. Vielmehr richtet sich die Botschaft an die weiteren Insassen des Alpenflugzeugs, nämlich an uns alle: weniger transportieren, weniger verschwenden, weniger vernichten. Der Gewinn dabei: nicht abstürzen.
Doch davon vielleicht später. Nun gehts erst einmal wieder an Bord eines Schiffs, das sich ohne Motor auf vor-industrielle Art bewegt. Auch wenn es unromantisch ist, nach zu kurzem Schlaf für den Wachwechsel geweckt zu werden, selbst wenn dauernd nasse Socken kein Vergnügen sind und klammkalte Finger auf grobem Tauwerk schmerzen, zieht es mich doch wieder raus aus der Komfortzone: Vorfreude ist die schönste Freude.